Moderne Fahrzeuge benötigen hochkomplexe Bordnetze – mit kilometerlangen Datenleitungen, die insbesondere für sicherheitskritische Anwendungen beim autonomen Fahren extrem zuverlässig und leistungsfähig sein müssen. Gleichzeitig erfordern Megatrends wie das Software-defined Vehicle immer schnellere Entwicklungszyklen und innovative Lösungen. Die Time to Market, also die Zeit von der Idee bis zur Markteinführung, wird zum entscheidenden Wettbewerbsfaktor: Wer neue Systeme schnell zur Marktreife bringt, verschafft sich technologische und wirtschaftliche Vorteile. Für langwierige Entwicklungsschleifen bleibt kaum noch Zeit. Digitale Entwicklungsmethoden sollen hier helfen, schneller zur Serienreife zu gelangen. Aber welche Methoden sind das konkret?
Hohe technische und prozessuale Komplexität
Datenleitungen müssen speziell im Zuge der schrittweisen Einführung des autonomen Fahrens immer mehr leisten, denn sie sind das „Nervensystem“ moderner Fahrzeuge. Sie müssen hohe Datenraten übertragen, EMV-resistent, temperatur- und biegefest sein – und dabei Platz sowie idealerweise Kosten sparen. Gleichzeitig erschweren klassische, sequentielle Entwicklungsprozesse eine schnelle Umsetzung: Lange Abstimmungsschleifen, fragmentierte Tool-Landschaften, komplexe Schnittstellen zwischen Fachbereichen und Re-Validierungen bei jeder Designänderung kosten wertvolle Zeit. Häufig arbeiten Konstruktion, Simulation, Validierung und Fertigung in separaten Systemen – ohne durchgängige Datenbasis. Informationen müssen manuell übertragen, erneut aufbereitet oder in inkompatible Formate konvertiert werden. In der Bordnetzentwicklung verbringen Ingenieure schätzungsweise bis zu 80 % ihrer Arbeitszeit mit Änderungen und deren Koordination – ein immenser Zeitfaktor. Diese Engpässe zeigen: Um die Time to Market zu verkürzen, müssen neue Ansätze her, welche die technischen Herausforderungen beherrschen und den Entwicklungsprozess beschleunigen.
Simulation: Frühzeitig validieren und Zeit sparen
Durch frühzeitige Simulation lassen sich Entwicklungszyklen deutlich verkürzen. Hochentwickelte Simulationssoftware ermöglicht es, EMV-Eigenschaften, Signalverhalten und Materialauswahl frühzeitig virtuell zu überprüfen. So können Fehlentwicklungen vermieden und die Anzahl physischer Prototypen reduziert werden. Ein konkretes Beispiel ist das vom BMWK geförderte Projekt BordNetzSim3D. Hier wird erstmals eine durchgängig digitalisierte Plattform realisiert, die es Unternehmen ermöglicht, Bordnetze simulationsgestützt zu entwickeln – von der Konzeptphase bis zur Serienreife. Dieser digitale Ansatz verkürzt die Time-to-Market, indem Designentscheidungen bereits in der Konzeptphase abgesichert werden.
Digitaler Zwilling: Virtuelle Abbilder als Entwicklungs-Beschleuniger
Während Simulationen oft einzelne Aspekte oder Testsituationen abdecken, geht der digitale Zwilling einen Schritt weiter. Der digitale Zwilling bildet ein physisches Produkt in einem 3D-Datenmodell ab – inklusive Geometrie, elektrischen Eigenschaften und äußeren Einflüssen. So können Kabelsysteme in Echtzeit simuliert und optimiert werden. Entwickler können damit das Betriebsverhalten im Fahrzeug simulieren, noch bevor reale Prototypen existieren. So lassen sich beispielsweise mechanische Belastungen, thermische Alterung oder elektrische Störeinflüsse am digitalen Modell durchspielen. Alle Prozessschritte – bis hin zur Fertigung – lassen sich nahtlos miteinander verknüpfen und auf ein und derselben digitalen Datenbasis aufbauen. Wird ein Problem erkannt (z.B. Überhitzung an einer bestimmten Stelle), kann die 3D-Konstruktion angepasst und virtuell erneut getestet werden – in wenigen Tagen statt in vielen Wochen. In der Praxis verbessern digitale Zwillinge in der Industrie bereits die Zusammenarbeit über Teams und Ländergrenzen hinweg. Änderungen werden zentral erfasst und sind für alle sichtbar. Dieses „Single Source of Truth“-Prinzip vermeidet Inkonsistenzen und ermöglicht paralleles Arbeiten. So können Konstruktion, Simulation und Fertigungsplanung gleichzeitig erfolgen, ohne aufeinander warten zu müssen. Unterschiedliche Teams nutzen eine gemeinsame, aktuelle Informationsbasis und halten ihre Teilsysteme synchron. Designanpassungen werden direkt am digitalen Modell getestet und synchronisiert. Das spart Zeit, erhöht die Qualität und ermöglicht eine parallele Entwicklung.
Rapid Prototyping: Schnellere Muster und Feedbackschleifen
Trotz aller Simulation bleibt in vielen Fällen ein realer Prototyp unverzichtbar – sei es für haptische Prüfungen, Passformtests am Fahrzeug oder Kundenpräsentationen. Rapid Prototyping bezeichnet Methoden, mit denen solche Musterteile besonders schnell hergestellt werden können. Vor allem der 3D-Druck (Additive Manufacturing) hat hier einen Paradigmenwechsel eingeleitet. Der 3D-Druck macht aus einer CAD-Idee innerhalb weniger Stunden ein greifbares Bauteil. Bauteile können so schnell erstellt, angepasst und erneut gefertigt werden. Schon heute kann Additive Manufacturing Entwicklungszeiten drastisch verkürzen. Dadurch bleibt den Entwicklern oft mehr Zeit, um verschiedene Designoptionen auszuloten. Rapid Prototyping trägt also nicht nur dazu bei, Projekte agiler und kundenorientierter zu gestalten, sondern fördert auch die Kreativität: Mehr Durchläufe in kürzerer Zeit bedeuten, dass vielfältigere Ideen ausprobiert und optimiert werden können, bevor ein Design in Serie geht.
Delta-Tests: Gezielt testen statt alles neu validieren
Traditionell führte fast jede Änderung zu einer umfangreichen Gesamtvalidierung: Zahlreiche Tests mussten wiederholt werden, um sicherzustellen, dass weiterhin alle Spezifikationen erfüllt werden. Das kostet Zeit. Genau hier setzt der Ansatz der Delta-Tests an: Statt immer das gesamte Testprogramm zu durchlaufen, konzentriert man sich bei einer Änderung gezielt auf die betroffenen Bereiche – das Delta zum vorherigen Stand. So werden nur die tatsächlich betroffenen Komponenten getestet – zum Beispiel bei Materialänderungen oder kleineren Layoutanpassungen. Voraussetzung ist eine transparente Änderungsdokumentation und digitale Rückverfolgbarkeit. Simulationen und digitale Zwillinge helfen, die Auswirkungen genau einzugrenzen und Risiken richtig einzuschätzen. Insgesamt ermöglichen Delta-Tests im Änderungsmanagement einen agileren Umgang mit Anpassungen: Updates und Verbesserungen können schneller integriert werden, ohne dass der Release-Zeitplan jedes Mal gesprengt wird.
„Concurrent Engineering“ – Parallele Entwicklung
Ein zentraler Hebel zur Verkürzung der Entwicklungszeit ist der Wechsel von der sequentiellen zur parallelen Entwicklung. Im klassischen „Wasserfallmodell“ wartet jeder Prozessschritt (z.B. Gehäusedesign) auf die Fertigstellung des vorhergehenden (z.B. Schaltplan fertig), bevor der nächste Schritt beginnt. Diese Abfolge führt zu Wartezeiten und verzögert das Gesamtprojekt unnötig. Concurrent Engineering durchbricht dieses Schema: Hier laufen mehrere Entwicklungsarbeiten gleichzeitig und eng koordiniert ab. Beispielsweise arbeiten die Konstrukteure an der mechanischen Integration der Datenleitungen im Fahrzeug, während die Elektroniker noch an der Schaltplanoptimierung arbeiten – beide Teams stimmen sich kontinuierlich ab und passen ihre Teilergebnisse iterativ an. Voraussetzung dafür sind durchgängige Datenmodelle und ein hoher Informationsaustausch. Alle arbeiten gleichzeitig am Produkt – unterstützt durch gemeinsame Datenmodelle, zum Beispiel in PLM-Systemen (Product Lifecycle Management System). Der digitale Zwilling dient dabei als zentrale Informationsquelle. Probleme werden frühzeitig erkannt und behoben. Die Vorteile der parallelen Entwicklung liegen in der Zeitersparnis und der Verbesserung der Ergebnisqualität. Probleme oder Unstimmigkeiten zwischen den Gewerken (z.B. zu enger Bauraum für eine Mantelleitung) werden früher erkannt, da die Teams gleichzeitig am vernetzten Gesamtsystem arbeiten. Anpassungen erfolgen nicht erst am Ende in aufwändigen Änderungsschleifen, sondern fließen kontinuierlich ein. Insgesamt nähert man sich iterativ einem optimal abgestimmten Design an.
New Work: Agile Methoden und verteilte Teams
Der Einfluss moderner Arbeitsmethoden auf die Entwicklungszeit darf nicht unterschätzt werden. Technische Tools allein reichen nicht aus – die Art und Weise, wie Menschen zusammenarbeiten, bestimmt maßgeblich die Geschwindigkeit und Qualität von Entwicklungsprojekten. In der Fahrzeugentwicklung, die traditionell von langfristigen Zyklen geprägt ist, hält zunehmend eine agile Denkweise Einzug. Methoden aus der Softwarewelt wie Scrum oder Kanban werden auf Hardwareprojekte adaptiert, um schneller auf Veränderungen reagieren zu können. Das bedeutet beispielsweise, die Entwicklung in kurzen Sprints zu organisieren, Prototypen (auch digitale) früh und häufig zu evaluieren und kontinuierlich Feedback einzuholen. Crossfunktionale Teams – bestehend aus Entwicklern, Produktionsplanern und Qualitätsspezialisten – bringen das notwendige breite Know-how zusammen, um komplexe Aufgaben schnell zu bewältigen. Digitale Werkzeuge wie digitale Zwillinge erleichtern die Zusammenarbeit und Remote Collaboration ermöglicht standortübergreifende Projekte in Echtzeit.
Die Einführung solcher Arbeitsformen ist zwar mit einem Kulturwandel verbunden, zahlt sich aber durch schnellere und bessere Ergebnisse aus.
Global verzahnte Produktentwicklungsteams mit einheitlichem CAD-System bei MD ELEKTRONIK
MD hat den Trend sowie die Vorteile der digitalen Entwicklungsmethoden schon lange erkannt und setzt viele dieser Bausteine schon in diversen Entwicklungsprojekten erfolgreich ein. Ein Beispiel ist die parallele simulatorische Bewertung der 3D-Modelle während des Product Designs. Durch FEM-Simulation werden mechanische, dynamische und thermische Parameter des zukünftigen Bauteils frühzeitig verifiziert, die Hochfrequenz- und Elektrische Simulation evaluiert die Parameter zur hochperformanten Datenübertragung. Dazu wurde eine umfangreiche Material-Datenbank aufgebaut, die grundlegende Eigenschaften von Polymeren und Metallen mit designabhängigen Faktoren z.B. Temperaturverlauf, Dämpfung und dielektrische Leitfähigkeit zum zeitsparenden Einsatz bereithält.
Unser Rapid Prototyping Center stellt den interdisziplinären Entwicklungsprojekt-Teams auf Basis des digitalen Zwillings Prototypen aus – je nach Einsatzzweck unterschiedlichen – Drucktechnologien zur Verfügung. Damit können schon während der Designphase unter anderem Versuche beim Kunden und Entwicklungspartner bedient werden, um z.B. komplexe Systemarchitekturen mehrerer Zulieferer und das Zusammenspiel der Komponenten frühzeitig in einem Prototypenfahrzeug, Technikträger oder Erlkönig unter realitätsnahen Bedingungen zu testen.
Parallele Designloops bei Gehäusen, Kontakt- und Funktionsteilen gewährleisten einen schnellen Entwicklungszyklus während zeitgleich durch die globale Aufstellung von MD noch Kundenprojektmeetings stattfinden können. Auf Basis des zentralen 3D-Modells werden schon Produktions-Prozesse und -werkzeuge entwickelt, sobald das Design einen gewissen Reifegrad hat. Auch hier ist der digitale Zwilling wieder die Grundlage für die Injection Molding Simulation, die Performanceeinflüsse des späteren Fertigungswerkzeugs auf das Bauteil aufzeigt und minimiert.