Zwischen Plattformstrategie und Individualisierung: Herausforderungen moderner Bordnetzarchitektur

Tech Talk ist eine Interview-Reihe, die Ihnen einige inspirierende Persönlichkeiten innerhalb und außerhalb von MD ELEKTRONIK, der Welt der Technologie, Innovation und darüber hinaus vorstellt.

In dieser Ausgabe haben wir uns mit Tobias Hartl, Manager Technical Product Management bei MD, getroffen. Wir sprechen über seine Arbeit, die Plattformstrategien der OEMs, Skaleneffekte, Standardisierung und die Auswirkung auf moderne Bordnetze.

Tobias, erzähl mir bitte etwas über Dich. Was reizt Dich am meisten an Deinem Job?

Seit 2019 bin ich bei MD – zunächst als Application Engineer für unsere internationale Kunden, mittlerweile im technischen Produktmanagement für den Bereich Multi-Core-Cables.
Zuvor konnte ich sechs Jahre lang im Umfeld von Mobile Media Headunits wertvolle Praxiserfahrung sammeln, von der ich heute noch täglich profitiere. Besonders spannend finde ich den direkten Austausch mit Kunden weltweit sowie die Möglichkeit, gemeinsam mit einem internationalen Team neue Technologien umzusetzen.

Die Plattformstrategien der OEMs versprechen Skaleneffekte – auch im Bereich der Bordnetze. Gleichzeitig geht der Trend jedoch hin zu einer zunehmenden Individualisierung. Wo liegen hierbei die größten Herausforderungen?

Mit jeder Fahrzeuggeneration nehmen die Bedeutung und die Komplexität der Bordnetze weiter zu. Daher ist es von großer Wichtigkeit, bereits bei der Entwicklung von Bordnetzkomponenten auf Skalierbarkeit zu achten. Dabei müssen sowohl standardisierte Plattformanforderungen als auch fahrzeugspezifische Besonderheiten berücksichtigt werden. Dies führt jedoch zu einem Zielkonflikt: Je stärker man standardisiert, desto schwieriger wird es, jeden Individualisierungswunsch zu erfüllen, wie er von den Nutzern in Zeiten der „Mass Customization“ verlangt wird. Es gibt also zwei Ansätze: Entweder enthält das Fahrzeug viele optionale Leitungen „auf Verdacht“ oder es werden für jede mögliche Kombination eigene Leitungen individuell eingesetzt. Beide Ansätze haben ihre Nachteile, weshalb es in der Praxis gilt, einen Kompromiss zu finden. Dies verdeutlicht die Herausforderung, Skaleneffekte und Individualisierung in diesem Bereich in Einklang zu bringen.

Welche Auswirkungen hat das konkret auf die Bordnetzarchitektur? 

Im Zuge der Entwicklung hin zur Zonenarchitektur ist ein deutlicher Trend zur Modularisierung des Bordnetzes zu beobachten. Anstelle eines einzigen durchgehenden Kabelbaums kommen heute mehrere Module oder Segmente zum Einsatz, die je nach Fahrzeugvariante kombiniert werden.  Die Grundlage hierfür bildet ein zentrales Backbone, das die Zonen untereinander sowie mit den zentralen Steuergeräten verbindet. Jede Zone erhält einen eigenen kleinen Kabelsatz für die lokalen Elemente. Es wird nicht mehr für jedes Modell ein völlig individueller Hauptkabelbaum benötigt. Dieser modulare Ansatz mit einem gemeinsamen Backbone und nur wenigen, je nach Ausstattung unterschiedlichen Modulen pro Zone vereinfacht die Konstruktion, erlaubt die Wiederverwendung bewährter Teile in verschiedenen Modellen und hilft enorm bei den immer kürzeren Entwicklungszyklen. Gleichzeitig wird die Standardisierung von Schnittstellen, Steckverbindern und sogar ganzen Kabelsträngen vorangetrieben. Durch die multifunktionale Nutzung erprobter und bewährter Elemente lassen sich Skaleneffekte ausnutzen. Die Herstellung weniger komplexer Kabelbäume vereinfacht wiederum eine automatisierte Fertigung. Hier besteht viel Potential, um weg von einer reinen manuellen Fertigung zu kommen. Das Einbinden von Robotern und Cobots in der Fertigung ist die Chance neue, vorteilhafte Produktionskonzepte zu erschließen und ist deshalb bei Neuentwicklungen von Beginn an mit zu bedenken. 

Wie muss eine Standardisierung der Datenleitungen konkret aussehen?

Die Standardisierung ist entscheidend, um Skaleneffekte zu erreichen. Die mechanischen und elektrischen Anschlusspunkte müssen dafür einheitlich definiert sein.

Mechanisch bedeutet dies beispielsweise, dass überall kompatible Steckverbinder eingesetzt werden, die kodiert sind und zueinander passen. Außerdem hilft eine Harmonisierung von Steckverbindern, so dass die Anzahl verschiedener Schnittstellen minimiert wird. Erst durch die Reduzierung verringert sich die Komplexität im Design und erhöht die Verwendung von gleichen Komponenten. Oft nutzt man schon heute sogenannte Hybridsteckverbinder, die Leistung und Daten in einem einzigen Steckverbinder bündeln. Dadurch werden mehrere separate Stecker pro Modul überflüssig, was die Montage vereinfacht, aber auch Material, Kosten und Platz spart.

Durch eine zunehmend automatisierte Fertigung verringert sich auch der Prüfaufwand. Es können z.B. mithilfe künstlicher Intelligenz verbesserte und kontaktlose Testsysteme eingesetzt werden. 

Auf elektrischer Ebene führen weniger unterschiedliche Schnittstellen zudem zu geringeren Fehlerquellen. Allerdings kommen auch Herausforderungen hinzu. So gilt es zum Beispiel EMV- und thermische Einflüsse zu bewältigen. Ein mögliches Beispiel für Standardisierung und Vereinfachung wäre ein Außenspiegelmodul, in dem eine einzige Leitung sowohl die Stromversorgung für den Totwinkel-Assistent, das Heizelement und Umfeldkameras als auch die Datenübertragung für die Assistenzsysteme übernehmen könnte – je nach Ausstattung. Dabei wird das Videosignal über das Automotive-Ethernet-Protokoll übertragen. Dadurch entfällt die Notwendigkeit mehrerer separater Kabelstränge. Das spart Platz, reduziert das Gewicht und vereinfacht die Montage.

Inwiefern siehst du softwarebasierte Funktionen als Möglichkeit, Individualisierung künftig stärker durch Software statt durch individuelle Hardwarelösungen umzusetzen?

Durch die Abbildung von Funktionen in Software kann man die Hardware weiter standardisieren. Das bedeutet, dass wir multifunktionale Leitungsstränge entwickeln, die in ihrer physischen Ausführung gleich bleiben, aber je nach Softwarefreischaltung unterschiedliche Funktionen ermöglichen. So können bestimmte Ausstattungen vorgerüstet, aber erst später aktiviert oder erweitert werden – ganz einfach per Over-the-Air-Update. Ein gutes Beispiel hierfür ist das Rear Seat Entertainment. Der Leitungssatz in der zweiten Sitzreihe kann so ausgelegt werden, dass er sowohl einfache USB-Ladefunktionen als auch vollwertige Medienmodule mit Displays, Touch-Steuerung und Streamingfähigkeit unterstützt – und das über dieselben Steckverbinder und Datenleitungen. Der Nutzer entscheidet später, ob er die Funktion freischalten möchte. Auch neue Features wie App-Integration, zusätzliche Mediaquellen oder Bildschirmspiegelung lassen sich nachträglich per Software ergänzen, ohne dass neue Hardware oder Kabelverbindungen nötig sind. Für den Hersteller bedeutet das: weniger Varianten im Leitungssatz, höhere Stückzahlen – also klare Skaleneffekte und das Potenzial für ganz neue Einkommensquellen. Für die Endkunden entsteht zusätzlicher Mehrwert durch maximale Flexibilität und Individualisierung während des gesamten Lebenszyklus des Fahrzeugs. Auch mit Ausblick auf das Design des Kabelbaumes können softwarebasierte Tools wie Digitaler Zwilling oder automatisiertes Routing Verbesserungen schon bei der Entwicklung hervorbringen.

Welche Rolle spielt MD ELEKTRONIK in diesem Wandel hin zu modularen, zonalen Bordnetzen der Zukunft?

Wir bei MD ELEKTRONIK verfolgen einen ganzheitlichen Ansatz bei der Mitgestaltung modularer und zonaler Bordnetze, um darin Skalierungseffekte bestmöglich zu nutzen. Unser Fokus liegt nicht nur darauf, konfektionierte Elemente zu liefern, sondern gemeinsam mit dem Kunden die optimale Lösung zu entwickeln. Dies beginnt bereits bei der Entwicklung der Steckverbinder sowie bei der Entwicklung und dem Bau eigener Fertigungsanlagen und Automatisierungslösungen. Mit dieser Kombination aus Produkt- und Produktions-Know-how können wir unsere Kunden aktiv dabei unterstützen, die nächste Generation von Bordnetzarchitekturen umzusetzen – mit flexiblen Serienlösungen, die zu jeder Plattformstrategie passen.

Tobias, herzlichen Dank für das spannende Interview!

Skalierbarkeit trifft Individualisierung

Moderne Fahrzeugbordnetze stehen vor einem doppelten Paradigmenwechsel: Einerseits streben OEMs durch Plattformstrategien nach Skaleneffekten, andererseits steigt die Nachfrage nach individuellen Lösungen. Dies erfordert einen neuen Ansatz: modular, zonal und softwarefähig. Anstelle eines durchgängigen Kabelbaums kommen bei der Zonenarchitektur segmentierte Module mit standardisierten Schnittstellen zum Einsatz, welche sich je nach Fahrzeugvariante kombinieren lassen. Diese fördern zudem die Automatisierbarkeit des Kabelbaumes und eröffnen in der Logistik und Fertigung neue Wege. Des Weiteren lassen sich Änderungen an den Kabelbäumen flexibler und schneller umsetzen.  

Datenleitungen übernehmen dabei multifunktionale Aufgaben, werden platzsparend gebündelt und sind durch Hybridsteckverbinder multifunktional einsetzbar.

MD ELEKTRONIK unterstützt diesen Wandel mit umfassender Kompetenz – von der Produktentwicklung bis zur Fertigungsautomatisierung – und liefert Lösungen, die perfekt zu den Plattformstrategien der OEMs passen.

Extrem leistungsfähige und außerordentlich zuverlässige Datenverbindungen sind das Rückgrat der Mobilität von morgen. MD nimmt bei diesen Technologien einen Spitzenplatz ein und treibt die Entwicklung mit einem internationalen Netzwerk von Experten weiter voran.

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Tobias Hartl

Tobias Hartl ist Teil des technischen Produkt Managements im Bereich Multi Core Cables und bereits seit 2019 bei MD tätig. Sein Einstieg absolvierte er als Application Engineer für internationale Kunden. Vor seiner Zeit bei MD konnte er 6 Jahre lang wertvolle Erfahrung im Bereich Mobile Media Headunits sammeln, die er bei seiner täglichen Arbeit erfolgreich einbringen kann. Besonders motivierend ist für Tobias der Kontakt zu globalen Kunden und die Implementierung neuer Technologien in Zusammenarbeit mit einem internationalen Team.