Was ist Automotive Ethernet?
Automotive Ethernet ist eine speziell für Fahrzeuge entwickelte Variante des Ethernet-Protokolls. Ethernet ist ein weit verbreitetes Protokoll auf der physischen Ebene im ISO/OSI-Schichtmodell, das in statischen Anwendungen wie Gebäude- und Firmennetzwerken eingesetzt wird. Automotive Multi Gigabit Ethernet ist eine speziell für Fahrzeuge entwickelte Variante, die Datenraten von 2,5 bis 10 Gigabit pro Sekunde erreicht und im Standard IEEE 802.3ch-2020 definiert ist.
Entstehung des Automotive Multi Gigabit Ethernet
Durch moderne Fahrassistenzsysteme steigen die zu verarbeitenden Datenmengen in Kraftfahrzeugen seit Jahren kontinuierlich an. Die kurze Reaktionszeit dieser Systeme wird durch die Erfassung von umfangreichen Informationen über die Umgebung des Fahrzeugs durch Sensoren und Kameras garantiert. Je mehr Daten über die aktuelle Situation im Straßenverkehr gesammelt werden, desto früher können die Systeme Gefahren erkennen und gefährliche Situationen verhindern. Für die Übertragung der Daten zu einer Steuereinheit werden Übertragungsstandards mit hoher Geschwindigkeit benötigt. Diese liegt mittlerweile im Bereich von hunderten Mbit/s bis zu Gbit/s. Die bewährten Übertragungstechnologien aus der Fahrzeugbranche, wie CAN, MOST oder FlexRay reichen nicht mehr aus, um diese hohen Anforderungen zu erfüllen. Es entstanden über die Jahre zahlreiche sehr performante, proprietäre Lösungen wie zum Beispiel APIX oder GMSL, auch als SerDes-Technologien (Serialiser/Deserialiser) bezeichnet. Alternativ zu diesen rein automobilen Entwicklungen entstand die Überlegung, Protokolle aus der allgemeinen Netzwerktechnik für die besonderen Anforderungen in Kraftfahrzeugen zu entwickeln, woraus Automotive Ethernet entstand.
Unterschiede zwischen Automotive Ethernet und herkömmlichem Ethernet
Der „normale“ Ethernet-Standard mit einer Datenrate von 10 Gbit/s (IEEE 802.3ae-2002) wurde schon im Jahre 2002 definiert, und schreibt Glasfaser-Verbindungen vor. Die 10 Gbit/s-Ethernet-Standards für die Verwendung von üblichen Kupferkabeln erschienen 2004 in „IEEE 802.3ak“ für Twin-axiale Kupferkabel und 2006 in „IEEE 802.3an“ für Twisted-Pair-Kabel. Im Falle der Twisted-Pair-Kabel lautet die Bezeichnung auch „10GBASE-T“ und sieht eine Übertragung über vier Paare aus verdrillten Doppeladern vor, genauso wie bei dem Vorgänger-Standard 1000BASE-T (1 Gbit/s). Die Datenrate von maximal 10 Gbit/s wird auf alle vier Paare mit jeweils 2,5 Gbit/s aufgeteilt. Die Datenrate wird dabei in Vollduplex-Betrieb erreicht. Das bedeutet, es lassen sich 10 Gbit/s gleichzeitig in beide Richtungen der Kommunikationsstrecke übertragen. Für die Anwendung in Fahrzeugen gelten jedoch strengere Anforderungen als beim Einbau in Gebäuden. Die verwendeten Kabel sollen leicht, günstig, sowie mechanisch belastbar sein und eine hohe funktionale Sicherheit aufweisen. Zudem muss die Kommunikation im Fahrzeug absolut zuverlässig und möglichst in Echtzeit stattfinden. Für diese Anforderungen ist Ethernet in seiner ursprünglichen Form nicht geeignet. Aus diesem Grund wurde Automotive Ethernet entwickelt. Anfänglich als 100 Mbit/s-Variante „100BASE-T1“ aus dem proprietären Standard BroadR-Reach von Broadcom entstanden, erschien eine 1 Gbit/s-Variante „1000BASE-T1“ und schließlich mit „10GBASE-T1“ (IEEE 802.3ch-2020) auch eine Multigigabit-fähige Version. Um die niedrigeren Datenraten wie 2,5 Gbit/s und 5 Gbit/s zu erreichen, sind im 10GBASE-T1-Standard sogenannten Scaling-Parameter implementiert, mit denen die Datenrate herab geregelt werden kann. Für die Geschwindigkeiten 2,5 Gbit/s, 5 Gbit/s und 10 Gbit/s gelten somit dieselben Anforderungen an die Komponenten der Übertragungsstrecke. Automotive Ethernet setzt dabei auf nur ein Twisted-Pair-Adernpaar, erkennbar an dem Kürzel „-T1“. Dies ist unter Anderem möglich, da die Linklängen in Fahrzeugen signifikant kürzer als in Gebäudenetzwerken sind. Die üblicherweise verwendeten 8P8C-Steckverbinder aus der Netzwerktechnik eignen sich aufgrund der Kontaktanzahl und der Anforderungen an die mechanische Stabilität nicht für den Einsatz im Automobil. Es werden spezielle Steckverbinder verwendet, welche auf den Einsatz im Automobil hinsichtlich Robustheit, Performance und Kosten optimiert sind. Alternativ zur elektrischen Übertragung wurde 2023 der Automotive Multi Gigabit Ethernet Standard „IEEE 802.3cz-2023“ für die Übertragung von 2,5 Gbit/s bis 50 Gbit/s über Lichtwellenleiter veröffentlicht.
Anwendungsbereiche von Automotive Ethernet
Die Bordnetzarchitektur entwickelt sich zunehmend von einer domänenbasierten zu einer zonenbasierten Architektur mit Zonencontrollern. Früher wurden Steuergeräte nach ihren spezifischen Aufgaben entworfen und im Fahrzeug verteilt, was zu komplexen Kabelbäumen mit teilweise über 100 Steuergeräten führte. Moderne SoC ermöglichen die Bündelung der Sensordaten in Fahrzeugzonen, verwaltet von leistungsfähigen Zonencontrollern. Dies reduziert die Anzahl und Länge der Leitungen, was Gewicht und Produktionskosten verringert.
Die Verbindung zwischen dem zentralen Hauptrechner und den Zonencontrollern wird als Backbone-Verbindung bezeichnet, die hohe Bandbreiten benötigt. Aktuelle SerDes-Lösungen erreichen ähnliche Datenraten wie Automotive Ethernet, sind aber aufgrund ihrer asymmetrischen Übertragung für Anwendungen wie Displays und Kameras optimiert. Automotive Multi Gigabit Ethernet, das Vollduplex-Übertragung ermöglicht, ist daher eine geeignete Technologie für solche Backbone-Verbindungen in modernen Fahrzeugen.